Alpen

Travelog Borneoreise 2011

Lieber Besucher.

Diesem Travelog möchte ich eine kleine Anmerkung voranstellen. Entgegen dem bisherigen Konzept meiner Homepage, die stark wissenschaftlich und faktenorientiert gestaltet ist, habe ich das folgende Travelog über meine Borneoreise bewusst eher emotional und impressionistisch verfasst, da mich diese Reise stark bewegt hat.

Derjenige, der einen an Fakten orientierten Reisebericht – am besten noch mit GPS-Standortangaben – erwartet, wird enttäuscht sein. Dieser Reisebericht richtet sich an diejenigen, die ein ganzheitliches Bild von Indonesien vermittelt bekommen möchten. Ein Bild mit Impressionen über das Land, dessen Bewohner, seiner Flora und Fauna, sowie deren Bedrohung.

Die Vorgeschichte

Mount Meratus in der Dämmerung.
Wir vor dem Abflug: Bernhard, Thomas und ich (von links nach rechts).

Sicherlich ist es dem geneigten Besucher meiner Website unschwer zu erkennen, dass ich ein passionierter Hobby-Botaniker bin. Daher hege ich schon seit geraumer Zeit den Wunsch, in die Tropen – genauer ausgedrückt in einen tropischen Regenwald – zu reisen.

Ich bin Arzt und lernte in meinem Krankenhaus einen neuen Mitarbeiter, nämlich Bernhard, kennen. Bernhard studierte zunächst Biologie. Später gründete er den Verein Faszination Regenwald e.V., der sich für den Erhalt des tropischen Regenwalds einsetzt. Zusammen mit dem deutschen Verein fansfornature e.V. wurde in Indonesien die Alas lou taka Foundation ins Leben gerufen, die sich insbesondere für den Erhalt einer der wenigen verbliebenen Tieflandregenwälder im Südosten Borneos, dem Meratus-Gebiet, einsetzt. Als mir Bernhard von seinem Projekt erzählte, war mir sofort klar, dass ich ihn dorthin begleiten würde.

Komplettiert wurde die Reisegruppe durch Thomas, einem weiteren Kollegen. Thomas ist mein sehr gebildeter und weitläufig interessierter Oberarzt.

Aufbruch ins Abenteuer (Tag 1, 26.06.2011)

Heute ist es endlich so weit. Die Reise beginnt. Monate lang habe ich diesem Moment entgegengefiebert. Bislang war ich voller Vorfreude und Spannung. Nachdem ich meinen Koffer fertig gepackt habe beschleichen mich aber erstmals auch andere Gefühle. Aus Spannung wird Anspannung, ebenso wachsen die Sorgen. Bin ich auf alles vorbereitet, habe ich nichts vergessen? Werde ich die Tage im Regenwald gut überstehen? Schnell weichen diese leichten Zweifel aber wieder der Spannung auf die nächsten Tage.

Wir treffen uns bei Bernhard und fahren weiter zum Flughafen München. Kurze Zeit später sitzen wir dann im Lufthansa-Airbus. Ich fühle mich ein Stück weit leer. Nach langem Studium der Literatur und der Beschäftigung mit dem Thema Naturschutz beginnt nun die Reise in ein Gebiet, das von starker Zerstörung geprägt ist und nur noch fragmentarisch seine faunistischen und floristischen Kostbarkeiten bewahren konnte. Was werden die Impressionen in mir bewirken?

Ankunft in Indonesien (Tag 2, 27.06.2011)

Pak Satriyo.

Ich hatte etwas Bammel vor dem Langstreckenflug. Doch dank eines Schlafmittels habe ich diesen weitestgehend verschlafen und bin erst wieder vor der Zwischenlandung in Singapur aufgewacht. Nach kurzem Aufenthalt dort geht es weiter mit einem Anschlussflug nach Jakarta.

Beim Verlassen des Flughafengebäudes von Jakarta erschlägt mich eine ungewohnte Mischung schwüler Hitze gepaart mit dem Smog des Millionenmolochs Jakarta. Unsere erste Nacht verbringen wir in einem internationalen Transit-Hotel, das wir mit amerikanischen Surfern und indonesischen Geschäftsleuten teilen. Wir unterhalten uns beim Abendessen noch eine Weile über die künftigen Tage und genießen vorerst die letzten westlichen kulinarischen Feinheiten.

Endlich in Borneo (Tag 3, 28.06.2011)

Einfache Hütten westlich von Balikpapan.
Fahrender Tante-Emma-Laden.

Nach einem westlich-kontinentalen Frühstück brechen wir zu unserem Weiterflug nach Borneo auf. Der Transfer mit dem Hotel-Shuttle-Bus ist das erste konträre Programm zu den bisherigen Eindrücken von Indonesien, die zugegebenermaßen bescheiden sind. Denn diese beschränken sich auf den Flughafen von Jakarta bei Nacht sowie ein modernes Hotel mit frisch gepresstem Saft und Wellness-Bereich.

Die Fahrt führt durch die Slums von Jakarta. Zu sehen sind notdürftig zusammengebaute Wellblech-Hütten und eine müllverseuchte Landschaft. Es zeigt sich einmal mehr, wie ungleich das Kapital weltweit verteilt ist – gehören doch zu den reichsten Menschen weltweit nicht nur vereinzelt Asiaten.

Ein Phänomen ist der Verkehr in Indonesien, der leicht als Beleg für selbstorganisierende Prozesse herangezogen werden könnte. Für den Außenstehenden erscheint dieser als pures Chaos. Keine Verkehrszeichen, keine Ampeln. Neben LKWs und Bussen sind zahlreiche Autos zu sehen.

Baumschule bei Samboja.
Inseln in Samboja Lestari mit Orang Utans.

Das dominierende Verkehrsmittel sind jedoch Mopeds, die sich wie ein aufgescheuchter Bienenschwarm durch den langsam fließenden Verkehr links und rechts vorbeizwängen. Teilweise befördern diese Mopeds ganze Familien inklusive schlafender Babys, andere sind abenteuerlich als fahrender Tante-Emma-Laden bepackt. Was wird es für Auswirkungen für die Natur, den Ressourcenverbrauch und den Ölpreis haben, sobald die Mopeds der Entwicklungs- und Schwellenländer peu-à-peu durch Autos ersetzt sein werden?

Von Jakarta fliegen wir weiter nach Balikpapan, das in Südostborneo liegt. Dort werden wir von Bernhards indonesischen Freunden in Empfang genommen. Zum einen ist das Pak Fredy, ein indonesischer Geschäftmann mit exzellenten Englischkenntnissen und einem guten Wissen über die westliche Welt. In den letzten Jahren entwickelte er sich zu einem wichtigen Frontmann im Kampf um die Schönheiten und Kostbarkeiten seiner Heimatinsel und ist inzwischen Chairman der Alas lou taka – Foundation. Zum anderen werden wir von Pak Satriyo begrüßt. Pak Satriyo ist studierter Botaniker und sollte unser Wegbegleiter die nächsten Tage sein. Zu diesem Zeitpunkt ist mir noch nicht klar, wie sehr mir dieser wuselige, kleine Indonesier ans Herz wachsen wird, so dass ich ihn am Schluss unserer Reise als Freund betrachten werde.

Blick von der Samboja - Lodge hinunter auf den Sekundärregenwald.
Die Samboja - Lodge.

Zunächst fahren wir in das Dorf Samboja etwas westlich von Balikpapan. Dort befindet sich eine kleine Baumschule der Alas lou taka – Foundation. Die hier angezogenen Setzlinge sollen später im Bereich des Randes des Meratus – Schutzwaldes zur Wiederaufforstung verwendet werden. Der Beweis, dass eine Wiederaufforstung mittelfristig funktionieren kann, findet sich nur wenige Kilometer entfernt. Wir besuchen das Projekt Samboja Lestari. Auf einem Areal von 1.800 Hektar betreibt BOS, eine Organisation von der ich später mehr erzählen werde, seit 2001 eine artenreiche Wiederaufforstung.

Die Fahrt durch diesen Sekundärregenwald empfinde ich beeindruckend. In knappen zehn Jahren ist der Wald stellenweise auf über 15 Meter Höhe herangewachsen. Inmitten des Waldes zieht ein kleiner Fluss mit mehreren Inseln. Diese dienen an Hepatitis C erkrankten, aus Gefangenschaft stammenden Orang Utans als letztes Refugium.

Nach einem kühlen Bier in der Samboja Lodge bei wunderbarem Panorama kehren wir spät abends geschafft in unser Hotel in Balikpapan zurück.

Wider der menschlichen Vernunft (Tag 4, 29.06.2011)

Obststand am Straßenrand. Links vorne sind Salak-Früchte zu sehen.
Die Holzfällerpiste.

Es ist ein bedeutsamer Tag für uns. Wir reisen heute in einen intakten Tieflandregenwald. Dieser befindet sich westlich von Balikpapan um den Mount Meratus herum. Der Regenwald ist Schutzwald von 28.000 ha Größe, in dem kein Holzeinschlag durch die drei großen Holzfirmen, die in Borneo tätig sind, stattfindet. Unser Quartier werden wir in dem kleinen Dayak-Dorf Tanjungsoke beziehen, das sich am Rande des Schutzwaldes befindet.

Zunächst fahren wir etwa 100 km nach Westen bis zu dem Dorf Satek. Am Straßenrand finden sich einfach gebaute Hütten, Ölpalmplantagen und diverse Straßenhändler, die diverse Früchte anbieten. Ich kann nicht widerstehen, so dass wir anhalten und ich neben Salaks (dabei handelt es sich um eine Palmenfrucht mit brauner, schlangenhautartiger Schale) eine Jackfrucht (die größte genießbare Frucht weltweit) erwerbe.

Frisch abgeholzt.

In Satek zweigen wir auf eine Holzfällerpiste ab, die von einer der großen Holzfällergesellschaften angelegt wurde und tief ins Landesinnere führt. Zunächst werden die Straßenränder von diversen Monokulturen geprägt. Hauptsächlich handelt es sich dabei um Bananen-, Pfeffer- und Ölpalmplantagen.

Sicherlich ist der bedeutendste Faktor für den weltweiten Rückgang der Regenwälder die Abholzung für den Export von Tropenhölzern wie Teak oder Eisenholz. Daneben spielen aber auch Brände, die Abholzung für die Rohstoffgewinnung (in Borneo ist das vor allem der Tagekohleabbau) und der Anbau von Ölpalmen eine bedeutsame Rolle. Es ist ein Parodoxon. Dort, wo vor wenigen Jahren oder Jahrzehnten ein intakter Tieflandregenwald stand, säumen nun große Ölpalmplantagen die Holzfällerpiste. Ölpalmen, deren Früchte in Europa unter anderem zu „Bio-Diesel“ verarbeitet werden!

Holztruck mit geschlagenen Riesen.

Und immer wieder ziehen gigantische Staubwolken über die holprige Schotterpiste. Deren Ursache sind gigantische Holztransporter, die knapp ein Dutzend an Teak- oder Eisenholzstämmen geladen haben. Jeder dieser Transporter hat hunderte Jahre Wachstum geladen. Gigantische Urwaldriesen werden dem Ökosystem entrissen, um in der westlichen Welt zu edlen Parkettböden oder noblem Inventar verarbeitet zu werden. Dabei beschränkt sich der Schaden nicht „nur“ auf die gefällten Urwaldriesen. Um diese Kolosse zu fällen und abzutransportieren bedarf es schweren Gerätes, das seinerseits für Schäden sorgt. Jeder fallender Urwaldriese schlägt in den Wald eine Schneise der Verwüstung und nicht zuletzt gehen mit den gefällten Bäumen auch die jeweiligen Epiphyten verloren. Der Restwald wird schließlich abgebrannt, um die Flächen für Plantagen zu verwenden. Jeder entgegenkommende Transporter ist für mich wie ein Stich in mein kleines Botaniker-Herz!

Die Schotterpiste zieht sich endlos. Da wir uns nahezu auf Äquatorebene befinden, beginnt kurz nach 17 Uhr die Dämmerung. Es ist Satriyo, der uns in diesem Moment mit dem plötzlichen Ausruf: „Look, there are hornbills!“ aus meiner Verträumtheit reist und uns auf unsere erste zoologische Besonderheit hinweist. In der Tat, uns überfliegen in diesem Moment zwei große Vögel, nämlich Nashornvögel.

Doppelhornvogel (Buceros bicornis) in der Dämmerung.

Diese Vogelart ist inzwischen sehr selten. Sie sind auf einen einigermaßen intakten Regenwald angewiesen, da sie Bruthöhlen nur in einer Höhe ab 20 m aufwärts akzeptieren. Nashornvögel ernähren sich vor allem von Feigen, verschmähen aber auch Insekten nicht. Charakteristisch ist ihr riesiger Schnabel mit hornartigem Aufsatz. Trotz seiner Größe ist der Schnabel sehr leicht, da er aus einem balkenartigen Gewebe besteht. Über die Funktion des hornartigen Aufsatzes existieren verschiedene Theorien. Am wahrscheinlichsten ist eine Funktion als Resonanzkörper, eine andere Theorie geht von einer Funktion als Klimaanlage aus, mit der Nashornvögel überschüssige Wärme abgeben.

Kurz später sehen wir erneut einen Nashornvogel. Wir haben Glück. Als wir aus dem Auto aussteigen fliegt dieses Exemplar nicht davon. Es lässt sich minutenlang mit dem Fernglas beobachten und mit dem Teleobjektiv in der Dämmerung ablichten. Später werde ich diese Art als Doppelhornvogel (Buceros bicornis) bestimmen. Als der Vogel davon fliegt, ertönt der für Nashornvögel charakteristische Flügelschlag, der etwas an eine anfahrende Dampflokomotive erinnert. Welch ein fantastisches Naturschauspiel: Eine Art, die man bislang nur aus Zoobesuchen kannte, in freier Wildbahn zu erleben.

Unsere Lodge in Tanjungsoke.

Nach 100 km Holzfällerpiste erreichen wir schließlich das Dorf Deraya, eine lockere Ansiedelung, in der wir abbiegen und uns auf die letzten zehn abenteuerlichen Kilometer in das Dayak-Dorf Tangjungsoke begeben, das sich am Rande des Meratus-Regenwaldes befindet und in dem wir die nächsten Tage leben werden.

Wir kommen in der Dunkelheit an und beziehen unsere Lodge, die vor wenigen Monaten von einem deutschen Zimmermann gebaut wurde. Ich bin von der Lodge vollkommen überwältigt. Sie passt so gar nicht zu meinen Erwartungen von einer einfachen Holzhütte im Nirgendwo mit Übernachtung auf einer Isomatte unter einem Moskitonetz. Stattdessen finden wir vier Räume vor. Jeder ist mit zwei Schlafplätzen ausgestattet, jeweils mit einer Art einfachem Lattenrost. Noch mehr verwundert mich das Vorhandensein eines Gaskochers sowie die sanitären Anlagen. Westliche Toiletten mit fließendem Wasser.

Nachdem wir unsere Lodge bezogen haben, besuchen wir das Dorf. Dort werden wir – respektive Bernhard, der wie ich bereits eingangs geschildert habe, eine tiefe Verbundenheit zu Tanjungsoke hat – sehnsüchtig erwartet. Es folgt ein netter Smalltalk bei Reis, Fisch und Gemüse. In landestypischer Weise wird das Essen sitzend auf dem Fußboden eingenommen.

Ein einzigartiges Ökosystem (Tag 5, 30.06.2011)

Sprühende Vitalität am Morgen nach der ersten Nacht im Regenwald.
Untersuchung eines Kranken.

Die Nacht war durchwachsen. Die schwüle Hitze im Wald mit einer Luftfeuchtigkeit an die 100%. Zudem dieses verdammte Moskitonetz, in dem ich mich mehr als irgendwelche Stechmücken verfangen habe. An Malaria oder Dengue-Fieber werde ich nicht sterben. Aber eines Morgens wie ein zappelndes Insekt im Spinnennetz aufwachen?

Der Kaffee sowie die großartige Aussicht auf den Regenwald von der Veranda der Lodge, die auf einer leichten Anhöhe liegt, lassen mich jedoch schnell munter werden. In ein paar Stunden werden wir diesen Regenwald erkunden.

Zunächst steht jedoch noch etwas Arbeit für uns an. Natürlich hat es sich im Dorf schnell herumgesprochen, dass sich aktuell zwei Ärzte im Dorf befinden.

Der zentrale Dorfplatz von Tanjungsoke.
Alter 'Grabstein' in Tanjungsoke, der aus Eisenholz gefertigt ist. Der Schädel wurde mit einigen Beigaben in den oberen Bereich des Grabsteins gegeben.

Das Interesse ist groß, da eine medizinische Versorgung des Dorfes quasi nicht gegeben ist. Der nächste Arzt befindet sich 100 km entfernt, zudem fehlen den meisten Dorfbewohnern die nötigen finanziellen Mittel für die Fahrt dorthin, geschweige denn für das Arzthonorar.

Einerseits ist es selbstverständlich als Arzt vor Ort zu helfen, andererseits kann dieser Goodwill als vertrauensbildende Maßnahme betrachtet werden, um die künftige Zusammenarbeit zwischen der Alas lou taka Foundation und der Dorfbevölkerung zu fördern. Eine adäquate Kommunikation ist mit Pak Satriyo als Dolmetscher gegeben. Zuerst überwiegt noch etwas die Skepsis, die Dorfbewohner legen sich nur zögerlich zur Untersuchung auf den Boden der Hütte des Bürgermeisters. Nach und nach steigt das Vertrauen, so dass wir insgesamt etwa von ein Dutzend Patienten konsultiert werden. Die meisten Krankheitsbilder sind nicht schwerwiegender Natur und lassen sich mit einigen Medikamenten aus unserer Reiseapotheke gut behandeln.

Ich am Bongan-River vor unserem ersten Trip in den Regenwald.
Durchquerung des Bongan - Rivers.

Wir sind erst nachmittags mit unserem Führer durch den Regenwald verabredet. Die Zeit nutzen wir daher für das erste Erkundungs- und Relaxprogramm. Der Dorfspaziergang ist durchaus nicht uninteressant. Die meisten Dayaks haben ihre Dörfer verlassen und leben inzwischen in losen Ansiedlungen entlang der Holzfällerpisten. Tanjungsoke ist eines der wenigen klassischen Dayak-Dörfer mit intaktem Sozialgefüge. Die einfachen Holzhütten stehen um einen zentralen Mehrzeckplatz, der sowohl von den Wasserbüffeln als Weide als auch abends von den Dorfbewohnern zum Fußballspielen benutzt wird.

Knappe 30 m entfernt zum Dorf verläuft ein kleiner Fluss mit dem Namen Bongan. Jetzt in der Trockenzeit führt er nur wenig lehmgelbes Wasser. Im Fluss verstreut liegen große Steine. Der Wasserstand schwankt je nach Stelle zwischen 30 und 180 cm.

Termitenbau.
Thomas kommt in den Genuss der Spontanität von Pak Satriyo. Beeindruckend sind die gigantischen Brettwurzeln von diesem Urwaldriesen.

Dennoch entschließe ich mich zu einem Bad in diesem Regenwaldfluss. Nach einigen Blessuren habe ich schlussendlich eine Stelle von etwa 20 m Länge gefunden, in der ich mit meiner Körpergröße relativ problemlos schwimmen kann. Das Baden im Fluss ist einfach herrlich. Auf dem Rücken treibend in über 20°C warmen Wasser mit einer senkrecht über einem stehenden Sonne, die Flussufer gesäumt von tropischem Wald. Zwischendurch zieht eine Dreierbande Jungs im Alter von etwa 3 – 6 Jahren meine Aufmerksamkeit auf sich. Diese Naturverbundenheit! Sie wuseln elegant über die klitschigen Felsen am Flussufer um mit den bloßen Händen aus dem Fluss kleine Taschenkrebse aus einer Brühe herauszufischen, in der man keine 2 cm tief hineinsieht. In diesem Moment muss ich an meine vorherigen unsicheren Schritte über eben diese glitschigen Felsen nachdenken. Das kurze Bad im Fluss dauert schließlich doch über eine Stunde.

Nachmittags brechen wir zusammen mit Pak Satriyo und einem Führer aus dem Dorf in den Regenwald auf. Der Regenwald liegt am anderen Flussufer, so dass wir diesen zunächst einmal durchqueren müssen. Anschließend schlängelt sich unser Trail hangaufwärts erst durch Sekundärregenwald (Für den interessierten Leser habe ich hier eine ausführliche Seite zur Tropenökologie zusammengestellt.), vorbei an der Wildform der Salak-Palme sowie den lianenartigen Rattanpflanzen. Beide sind über und über mit erschreckenden Stacheln versehen. Weiter führt der Weg vorbei an Termitenbauten und verbliebenen Urwaldriesen wie dem Eisenholzbaum und verschiedenen Meranti-Arten.

Epiphytisches Wachstum eines großen Farns.
Pak Satriyo bewahrt mich vor dem Verdursten. Manche Lianenarten sind sehr wasserreich. Der heraustropfende Pflanzensaft schmeckte nach reinem Wasser.

Je tiefer wir in den Wald vorstoßen, desto mehr geht der Sekundärregenwald in einen wenig gestörten Primärregenwald über. Bereits ein flüchtiger Blick in den Wald macht einem diesen Unterschied klar. War der Sekundärregenwald ein undurchdringliches Gestrüpp, durch welches man sich seinen Weg mit der Machete frei schlagen musste, zeigt sich im Primärregenwald eher eine schüttere Untervegetation. Vom Aspekt ähnelt der Primärregenwald etwas einem deutschen Buchenwald im Sommer. Wie im Buchenwald kommt nur sehr wenig Sonnenlicht am Boden an (in den Tropen etwa 1%), so dass dort nur wenige Spezialisten gedeihen können. Wer meint, im Regenwald sehe man ein Blütenmeer sowie Triaden an Insekten, Schlangen und Vögel, der wird enttäuscht sein.

Eigentlich sieht man außer den Urwaldriesen so gut wie nichts, sofern man sich auf dem Waldboden bewegt. An dieser Stelle des Trails sind die hunderte Jahre alten Urwaldriesen jedoch ein imposanter Anblick. Viele Bäume zeigen gigantische Brettwurzeln von mehreren Metern Höhe und Länge. Brettwurzeln bilden Bäume erst im Laufe ihres Wachstums aus. Die meisten Regenwaldbäume sind Flachwurzler, so dass für eine sichere Verankerung eben Brettwurzeln ausgebildet werden.

Urwaldriese mit reich mit Epiphyten besetzten Ästen.
Abendliches Fußballspiel.

Kommen wir schließlich zu der Lösung der vermeintlichen Kontradiktion meiner Schilderungen zu dem allgemeinen Wissen über extrem artenreiche tropische Regenwälder. Das eigentliche Leben im Regenwald spielt sich zwei Etagen weiter oben ab. Um dem Lichtmangel am Waldboden zu entgehen und eine effiziente Photosynthese betreiben zu können, sitzen die meisten Pflanzen auf den Urwaldriesen. Solche Aufsitzerpflanzen werden Epiphyten genannt. Anders als bei der deutschen Mistel schaden die Epiphyten den Bäumen nicht, sie leben nicht parasitär.

Wagt man einen Blick nach oben, so sieht man die Zweige der Urwaldriesen über und über mit Pflanzen überzogen. Diese Pflanzengesellschaft besteht zumeist aus diversen Farn-, Bromelien- und Orchideenarten. Entsprechend der Flora hat im Laufe der Evolution auch die Fauna ihren Lebensmittelpunkt in das Kronendach des Regenwaldes verlagert.

Nach knappen zweieinhalb Stunden kehren wir aus dem Regenwald wieder in das Dorf zurück, wo bereits das allabendliche Fußballspiel stattfindet. Bernhard und ich nehmen an diesem Spiel zwar gerne teil, sind aber den durchtrainierten Jungs nicht wirklich ebenbürtig.

Große Dschungelparty (Tag 6, 01.07.2011)

Illegaler Holzeinschlag. Der gefällte Baum wird gleich vor Ort in handliche Bretter zersägt.
Richtung Erdboden wachsende Stelzwurzel. Diese Wurzelart zur sicheren Verankerung wird normalerweise von Bäumen gebildet, die auf sehr sumpfigen Böden wachsen.

Heute starten wir bereits vormittags in den Regenwald. Wie gestern führt der Trail zunächst durch den Fluss und anschließend durch Sekundärregenwald ehe wir in einem anderen Bereich des Primärregenwaldes ankommen. Zwischendurch erklärt Pak Satriyo viel über die Verflechtungen der Dayaks mit dem Regenwald. Der Primärregenwald wird an dieser Stelle überwiegend von drei Baumgattungen dominiert. Am häufigsten sind diverse Meranti-Arten, das Hauptopfer der Holzfäller. Deren Holz wird zu Furnieren und witterungsbeständigen Fensterrahmen verarbeitet. Daneben zeigen sich häufiger Eisenholzbäume und Honey Trees (Koompassia excelsa). Beide Arten werden von den Dayaks aus unterschiedlichen Gründen verehrt. Eisenholzbäume bilden ein extrem dichtes und somit beständiges Holz aus. Diese Beständigkeit macht sie zu einem begehrten Ziel der Holzfäller.

Eine Würgefeige beginnt mit der Umklammerung.
Großer Honey Tree (Koompassia excelsa).

Andererseits sind Eisenholzbäume aufgrund ihres druckbeständigen Holzes die einzige Baumart, die den Zweikampf zwischen Baum und Würgefeige regelhaft für sich entscheidet. Die Samen von Würgefeigen gelangen mit dem Vogelkot auf die Baumäste. Dort keimen sie und fristen zunächst ein harmloses epiphytisches Dasein. Später beginnt die Würgefeige Wurzeln auszubilden, die stammabwärts bis zum Erdboden wachsen. Haben die Wurzeln diesen erst einmal erreicht, werden immer schneller zusätzliche Wurzeln ausgebildet bis der Wirtsbaum schließlich gänzlich umhüllt ist und abstirbt. Der Wirtsbaum wird über Jahrzehnte zersetzt. Am Schluss bleibt nur eine innen hohle Würgefeige übrig.

Die so genannten Honey Trees sind sehr imposante Erscheinungen. Honey Trees sind bis zu 75 m hohe Urwaldriesen mit einer hellen, glatten Borke, die zur Familie der Schmetterlingsblütler gehören. Hoch oben in den Astgabeln errichten Wildbienen ihre Bienenstöcke, von denen ein ausgewachsener Honey Tree bis zu 50 Stück beherbergen kann. Jeder Dayak-Mann „besitzt“ seinen eigenen Honey Tree, den er in regelmäßigen Abständen ungesichert mit nur einem selbst erstellten Seil empor klettert, um den Honig zu ernten.

Eine nicht mal eine Zentimeter große Orchideenblüte.
Zapfender Blutegel.

Nahe unserer Raststelle nach knapp dreistündiger Wanderung haben wir Glück. Einer der Urwaldriesen liegt entwurzelt vor uns. Erstmals gelangen wir in Reichweite des epiphytischen Bewuchses. Die ersten Orchideen!

Eine zweite Rast legen wir etwas später in einem kleinen Bachbett ein. Ein wirklich idyllischer Ort: Klares Wasser, durch welches Schwärme kleiner Fische stieben. Von dem Bachbett geht eine angenehme Kühle aus. Überhaupt, die Luft hier ist wunderbar. Ringsherum nahezu unberührter Primärregenwald mit unregelmäßig ertönendem Zikadenorchester.

Abrupt wird die Idylle durch Thomas’ blutige Hose durchbrochen. Beide Hosenbeine sind übersät mit großen Blutflecken. Irgendwie sieht er aus, als hätte er sich soeben einen Zweikampf mit einem Stachelschwein geliefert. Die Ursache ist jedoch bedeutsam kleiner. Es sind einige Blutegel. Diese halten sich auf den feuchten Blättern am Boden auf und sind wohl durch die unten offenen Hosenbeine nach oben geklettert. Einige haben sich wohl pappsatt inzwischen wieder verabschiedet. Zeugen des Befalls sind ein verbliebener Blutegel und die Nachblutungen aus mehreren Bissstellen. Auch ich bin nicht verschont geblieben und beherberge zweier dieser Regenwaldvampire. Sie sind nicht schwer zu entfernen, aber in gewisser Weise mysteriös und raffiniert. Ich hatte nichts bemerkt, so rein gar nichts, nicht einmal einen kleinen Stich.

Vorbereitungen für die Party.
Ritueller Tanz.

Für den Abend ist eine kleine Party angekündigt, denn für die Älteren im Dorf ist die Anwesenheit von Fremden eine willkommene Gelegenheit, alte Rituale und Gebräuche wieder zu zelebrieren. Mindestens das halbe Dorf hat sich auf der Veranda unserer Lodge versammelt. Es laufen die Vorbereitungen. Musikinstrumente werden aufgebaut. Eines davon ist wie eine Mischung aus Buschtrommel und Buschschlagzeug. Eine Holzrahmenkonstruktion, in dessen einzelnen Fächer Metallklangkörper eingelegt werden, die in etwa wie ein umgedrehter Topf aussehen. Die Tänzerinnen zupfen ihre Kostüme zurecht. Unter den Kindern wird gerade noch die Sitzplatzordnung ausgefochten. Aber wie in Deutschland auch: zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen. Ganz offensichtlich war der gestrige Tag vertrauensbildend. Pak Satriyo fragt, ob wir noch ein oder zwei Patienten ansehen könnten. Kaum haben wir ja gesagt, liegt auch schon der erste Patient auf dem Verandaboden, umsäumt von der restlichen, sitzenden Dorfgemeinschaft.

Das Bedürfnis an Intimsphäre ist hier wohl geringer ausgeprägt als bei uns. Nachdem aus ein bis zwei Patienten weit über zehn Patienten geworden sind, sind auch die Vorbereitungen soweit gediehen, dass die Party beginnen kann.

Zu rhythmischen Klängen führen fünf festlich gekleidete Tänzerinnen mehrere Tänze auf. Mit der einen Hand bewegen sie passend zum Takt eine Rassel, mit der anderen bewegen sie einen bunten Stock. Ich bin ganz fasziniert von der Fußarbeit, habe jedoch nicht allzu lange Zeit diese zu studieren, da Thomas und ich nach einigen Tanzrunden aufgefordert werden mitzumachen. Unsere Fußarbeit ist bei weitem nicht derart elegant, so dass wir doch recht schnell zu einem belustigenden Element werden. Dennoch macht es ungeheuren Spaß.

Inmitten von Indonesiern (Tag 7, 02.07.2011)

Frühstück, klassisch im Sitzen.

Ich wache mit gemischten Gefühlen auf. Eine dreitägige Schonkost bestehend aus Omelett, Reis und etwas Gemüse zum Frühstück, Mittag- und Abendessen war für mich nicht einfach.

Reifenwechsel.

Dennoch bereue ich es, dass wir heute abreisen. Im Regenwald gäbe es noch so viel zu entdecken. Zudem handelt es sich bei Tanjungsoke um ein sympathisches Dorf mit liebenswerten Bewohnern. Ich könnte hier gerne noch ein paar Tage verweilen. Im Fluss schwimmen, Fußballspielen, dem schnelllebigen Alltag der westlichen Welt entfliehen. Trotz der einfachen Lebensumstände macht die Dorfgemeinschaft auf mich als Außenstehenden einen lebenszufriedenen Eindruck. Wie wird sich dieses Dayak-Dorf in der Zukunft entwickeln? Ich glaube, die Globalisierung wird auch hier greifen. Die ersten Dayaks haben ein Handy. Mindestens jede zweite Hütte ist via Satellitenschüssel medial mit der restlichen Welt konnektiert. Wird die dortige Jugend dort bleiben oder ihr (vermeintliches) Lebensglück in der weiten Welt suchen – das Dorf zunehmend verwaisen? Wie wird sich die Dorfgemeinschaft ändern?

Hafen - Impressionen im Bereich der Balikpapan - Bay.

Statt wie bei der Anreise die Balikpapan-Bay zu umfahren, überqueren wir diesmal die Bay via Fähre. Auf dem Weg zum Fährhafen werden wir kurz durch einen Platten des Vorderreifens aufgehalten. In Teamwork ist der Reifenwechsel jedoch in wenigen Minuten vollzogen.

Auf der Fähre.

Auf der Fähre verstärken sich zwei Eindrücke, die ich bereits die Tage zuvor machte. Der Südosten Borneos scheint eine ausländerfreie Zone zu sein. Den letzten Nicht-Indonesier sah ich in Jakarta. Andererseits scheint Indonesien eine Goldgrube der Tabakindustrie zu sein. Gefühlt scheint die Raucherquote bei über 80% zu liegen. Selbst auf der Fähre wird überall geraucht. Eine rauchfreie Zone existiert nicht. Sogar das Kioskpersonal raucht hinter der Theke.

In Balikpapan haben wir abends etwas Zeit, so dass ich diese zu einem Besuch eines Einkaufszentrums nutze. Von außen erschien es mir gar nicht mal so groß, das Innere stellt sich aber gigantisch dar. Das betrifft sowohl die Dimensionen als auch das Angebot. Von Fitnessgeräten und die neuesten Handys wird alles bis hin zu Reisen auf die Bahamas angeboten. Es bietet sich ein komplett konträrer Eindruck zu den Straßenränder wenige Kilometer außerhalb des Zentrums. Balikpapan scheint ganz offensichtlich vom lokalen Rohstoffreichtum (Erdöl und Kohle) zu profitieren.

Ich bin auf der Suche nach Büchern über die indonesische Flora. Leider kann ich mein indonesisches Vokabular mit einer Hand abzählen. Obwohl ich im gesamten Einkaufszentrum nicht einen Indonesier anrede, der mehr als drei Worte Englisch beherrscht, kann man sich letztlich mit Händen und Füßen verständigen. Die Indonesier sind ein sehr freundliches und hilfsbereites Volk.

Und einmal mehr fällt mir auf, wie attraktiv die Indonesierinnen sind.

Über Waldmenschen und sonderbare Pflanzen (Tag 8, 03.07.2011)

Öffentliche Toilette am Hafen von Mantangai.
Dorf am Ufer des Kapuas - Rivers auf dem Weg nach Tuanan.

Eines vorweg: es wird ein großartiger Tag werden. Heute fliegen wir von Balikpapan weiter nach Banjarmasin. Pak Satriyo wird uns nicht begleiten, so dass nun der Moment des Abschieds gekommen ist. Dieser Kerl wird mir echt fehlen. Für mich war er nicht nur Führer und Dolmetscher. Seine heterogene Persönlichkeitsstruktur empfand ich als sehr angenehm. Wissen (sowohl botanisch als auch informationstechnologisch) und Hilfsbereitschaft gepaart mit Kreativität und Spontanität: wunderbar.

Am Flughafen von Banjarmasin werden wir von Pak Odom, Pak Apri und Pak Rahmadi in Empfang genommen. Zunächst fahren wir mehrere Stunden über schlechte Straßen bis nach Mantangai. Auf dem Weg dorthin kommen wir wieder einmal an Obstständen vorbei, denen ich nicht widerstehen kann. Unter anderem erwerbe ich eine Durian. Bei dieser handelt es sich um eine recht sonderbare Frucht. Sie hat die Größe einer Wassermelone und besitzt eine stachelige Schale. Das Bedeutsamste ist jedoch ihr Geruch. Dieser ist nahezu nicht in Worte zu fassen, irgendwie schwefelartig. Kurzum, sie stinkt fürchterlich. Ich ziehe daher den kompletten Unmut meiner deutschen Reisebegleiter auf mich, die den Geruch der Durian den kompletten Tag ertragen werden müssen.

Eines der Boote auf dem Kapuas - River.
Das kleine Dorf Tuanan.

Von Mantangai geht es mit einem Speedboot weiter flussaufwärts den Kapuas-River bis zu dem winzigen Dorf Tuanan. Dort führen uns zwei Gründe hin. Zum einen will Bernhard in diesem armen Dorf zusammen mit drei anderen deutschen Organisationen eine Schule errichten. Zum anderen befindet sich in unmittelbarer Nähe des Dorfes einer der wenigen erhaltenen Sumpfregenwälder Borneos.

Dieser Sumpfregenwald ist die Heimat von noch etwa 3.600 wildlebenden Orang Utans und von zehn verschiedenen Kannenpflanzenarten. Kannenpflanzen (Nepenthes) sind mehrjährige, teils einige Meter hohe Stauden mit hochraffinierten Blättern. Das vermeintliche Blatt ist botanisch gesehen ein verbreiteter Blattstiel. Das eigentliche Blatt selbst ist zu einer schlauch- bis tassenförmige Falle umfunktioniert, mit der die Pflanzen hauptsächlich Insekten, manchmal aber auch Frösche oder kleine Säugetiere erbeuten und anschließend mit Hilfe von Enzymen verdauen. Kannenpflanzen sind also fleischfressende Pflanzen.

Kannenpflanze (Nepenthes spec.).
Im Camp Tuanan.

Eigentlich könnte das Dorf Tuanan einen wunderbaren Blick vermitteln. Vereinzelt stehende Hütten direkt am Kapuas-River. Zwischen den Hütten und bis zum Flussufer feinster, weißer Sand. Eigentlich traumhaft, wäre der Sand nicht über und über mit Müll übersät.

Vom Dorf machen wir uns auf eine zirka zwei Kilometer lange Wanderung in den Sumpfregenwald. Bereits wenige Meter außerhalb des Dorfes entdecken wir die ersten Kannenpflanzenarten, die sich elegant lianenartig an den Sträuchern empor hangeln. Von den Sträuchern hängen die farbenprächtigen Fallen wie Kugeln am Christbaum. Der Weg führt weiter an einem mehreren Hektar großen Areal zerstörten Regenwalds vorbei. Ende der 90er tobten in Borneo schwere Waldbrände, denen auch dieses Areal zum Opfer fiel. Schließlich kommen wir am Rande des Sumpfregenwaldes in einem kleinen Camp an, von dem aus Pak Odom mit seinen Mitarbeitern die Orang Utan – Population erforscht.

Pfad durch den Sumpfregenwald.
Mutter Juni hoch oben in den Baumwipfeln.

Einer Handvoll Orang Utans, die ihr Revier in Campnähe haben, wurden Namen gegeben. An den Holzwänden des Camps finden sich verschiedene Fotogalerien: Sortiert nach Geschlechtern, jeweils ausdrucksstarke Fotos mit Namen beschriftet.

Vom Camp führt ein kilometerlanger Holzpfad, der aus zwei schmalen Brettern besteht, tief in den dunklen Wald. Jetzt während der Trockenzeit, die heuer nach Angaben von Pak Odom ohnehin sehr ausgeprägt ist, wäre dieses Holzkonstrukt unnötig, während der Regenzeit ist der Wald jedoch überflutet.

Immer wieder entdecken wir links und rechts des Pfades neue Kannenpflanzenarten, aber je weiter wir in den Wald vorstoßen, desto mehr schwindet meine Hoffnung, einen Orang Utan zu entdecken.

Orang Utan - Weibchen Juni.
Die kleine Jip beobachtet uns interessiert.

Plötzlich beginnt sich ein Baumwipfel stark zu bewegen, Laub rieselt auf uns herab und ein deutliches Rascheln ist zu vernehmen. Ehe wir drei Deutschen die Ursache realisieren können ruft Pak Odom: „Look up, there is an Orang Utan …“ und nach einigen Sekunden „ … and she has a baby!“

Vor Schreck und Begeisterung verliere ich das Gleichgewicht auf dem schmalen Holzbrett und falle hinunter. Auf dem Hosenboden sitzend stiere ich in die Baumkronen und tatsächlich, hoch oben sehe ich ein großes, rotes Knäuel, welches sich aufgeregt zwischen den Baumkronen bewegt. Ehe ich jedoch auch das Baby ausmachen kann, hat Pak Odom auch schon deren Namen parat. Wir beobachten gerade das Orang Utan – Weibchen Juni mit ihrer etwa drei Jahre alten Tochter Jip.

Orang Utan - Mädchen Jip.

Konsterniert beobachte ich dieses Naturschauspiel, das sich uns momentan darbietet. Ich sehe mich getäuscht, hatte ich doch erwartet, eine solche wunderbare Begegnung würde nur einen flüchtigen Moment andauern. Knapp eine halbe Stunde können wir Juni und Jip beobachten. Das Interesse ist gegenseitiger Natur.

Nicht nur wir sind an der Beobachtung der Orang Utans interessiert, vor allem die verspielte Jip findet auch Gefallen an uns. Ein wildlebendes Orang Utan Kind, das einem aus nur fünf Meter Höhe interessiert in die Augen schaut, lässt mir diese halbe Stunde wie eine gefühlte Ewigkeit vorkommen. Ich bin begeistert!

Tief dankbar und euphorisiert kommen wir später ins Camp zurück, von Tuanan geht es mit dem Speedboot wieder denselben Weg auf dem River zurück, wir fahren weiter nach Palangkaraya. Auf dem Weg dorthin müssen wir nochmals den Kapuan-River überqueren. Mitten in der Nacht gestaltet sich die Überquerung mit einer kleinen Holzfähre doch recht abenteuerlich.

Doch noch nicht alles verloren? (Tag 9, 04.07.2011)

Mit diesen Klotoks fahren wir zu den Orang Utan - Inseln.
Pak Odom und ich vor der Kaja Island.

Heute steht ein Besuch der Kaja Island an. Nur wenige Kilometer von unserem Ecovillage, in dem wir zusammen mit einer weltweit zusammen gewürfelten Selbsterfahrungstruppe übernachtet haben, befindet sich das Nyaru Menteng – Zentrum, welches von BOS getragen wird. Bei BOS (Borneo Orangutan Survival Foundation), einer indonesischen Nicht-Regierungs-Organisation (NGO), handelt es sich um das inzwischen weltweit größte Primatenschutzprojekt. Ziel ist es, die Orang Utans sowie deren Lebensräume dauerhaft zu schützen beziehungsweise zu erhalten. BOS unterhält in Kalimentan, wie der südliche, indonesische Teil Borneos genannt wird, mehrere Projekte. Eines dieser Projekte ist das Nyaru Menteng – Zentrum sowie die nahe gelegene Kaja Island. Dieses Zentrum dient als Auffangstation beziehungsweise Rehabilitationszentrum, in denen Orang Utans für eine Wiederauswilderung vorbereitet werden. Die ersten Jahre fanden in diesem Zentrum vor allem Orang Utans Zuflucht, die aus einer illegalen privaten Haltung als Haustier befreit worden waren. Heute sind es überwiegend Orang Utans, denen der Lebensraum abhanden gekommen ist. Teilweise handelt es sich um erwachsene Orang Utans, die bei der Abholzung deren Lebensräume den Holzfällerfirmen in die Hände fallen und dort abgegeben werden. Der andere Teil besteht aus verwaisten Orang Utan – Babys, deren Mütter durch Menschenhand umgekommen sind.

Essender Orang Utan auf der Kaja Island.
Nyaru Menteng Informationszentrum.

Eine Wiederauswilderung ist kein leichtes Unterfangen. Neben viel Erfahrung setzt es viel Zeit voraus. Über Jahre befinden sich die Orang Utans im Nyaru Menteng – Zentrum, wo ihnen die Fähigkeiten erst wieder beigebracht werden müssen, damit sie in freier Wildbahn überleben können. Anschließend werden sie auf die nahe gelegenen Inseln gebracht. Diese sind zu klein, um die Orang Utans ausreichend zu ernähren, so dass sie täglich zugefüttert werden müssen. Von den Inseln werden sie letztlich in aufwändigen und teuren Aktionen in geeignete Biotope ausgewildert. Leider finden sich diese immer schwieriger. Es ist ein Dilemma des Naturschutzes. Ein Artenschutz funktioniert nicht ohne Biotopschutz. Wo sollen diese hoffnungsvollen Kandidaten für eine Auswilderung hin, wenn vielleicht in ein paar Jahren die letzten intakten Regenwälder abgeholzt sein werden? Es ist ein Mal mehr eine Minute vor Zwölf! Es liegt mit an einem jeden von uns, sich dafür einzusetzen, dass unsere Kinder unsere nahen Verwandten zukünftig nicht nur durch eine dicke Glasscheibe im Zoo kennenlernen dürfen.

Thomas

Nach dem kleinen Exkurs zurück zu dem Kaja Island. Diese Insel liegt wie vier weitere im Kahayan – River. Wir besteigen unsere kleinen, motorangetriebenen Boote, die als Klotok bezeichnet werden. Mit den Booten geht es dann zu den Inseln. Auf jeder befinden sich maximal 45 Orang Utans. Es ist kurz nach der Fütterung, so dass sich viele Orang Utans noch am Ufer aufhalten. Diese halbwilde Population ist für mich ein konträrer Eindruck zu gestern.

Anschließend unternehmen wir einen kurzen Abstecher ins Nyaru Menteng Informationszentrum, in dem wir einen Dokumentationsfilm der BBC zu dieser Problematik sehen. Im Informationszentrum lernen wir Yeni kennen, eine dortige Mitarbeiterin. Diese indonesische Frau besitzt eine interessante Aura, die sich aus Lebensfreude und Extrovertiertheit zusammensetzt. Zusammen kehren wir in das Ecovillage zurück. Unterwegs kauft Yeni etwas Baram, eines der wenigen lokal gebrauten Alkoholika. Es wird aus Reis, Hirse und Zucker gebraut. Zwar ersetzt es kein kühles Bier, jedoch wirkt es deutlich schneller. Zügig steigt die Stimmung. Zu Gitarrenklängen von Thomas und Pak Akri veranstalten wir einen internationalen Tanzkurs. Von indonesischen Tänzen erstreckt sich das Reportoire über Walzer bis zum Tango.

Durian – eine eigenartige Frucht (Tag 10, 05.07.2011)

Halbierte Durian.

Heute werden wir Borneo verlassen und die Heimreise antreten. Die Koffer sind bereits gepackt. Meine Durian liegt immer noch einigermaßen luftdicht verpackt in einer Plastiktüte im Freien. Nun ist der Zeitpunkt gekommen, mich ihr zuzuwenden. Meine Neugier ist größer als die Abscheu meiner Reisekollegen, die sich beharrlich weigern, sich dieser Frucht mehr als 10 m zu nähern. Es wird also ein Soloauftritt. Die Beschreibungen des Geschmacks, die ich zuvor einmal in Deutschland gelesen habe, reichen von „ist für Europäer nicht zu genießen“ bis zu „himmlisch“ – untermalt mit einigen Metaphern und Vergleichen. Bereits beim Durchtrennen der stacheligen und harten Schale mit dem Taschenmesser steigt die olfaktorische Belastung in grenzwertige Bereiche. Nichtsdestotrotz entnehme ich einen dieser großen Samen, die von wenig weichem Fruchtfleisch eingehüllt sind. Der Geschmack ist einzigartig, mit nichts zu vergleichen, was ich jemals gegessen habe. Mir wird es schlecht und ich spucke das Fruchtfleisch aus. Kurzum: Eine Durian ist für Europäer nicht zu genießen.

Nach dem Mittagessen fahren wir zum Flughafen von Palankaraya und fliegen von dort mit Batavia Air zurück nach Jakarta, wo wir wieder in dem Transithotel absteigen, in dem wir bereits bei der Anreise übernachteten.

Goodbye Indonesia (Tag 11, 06.07.2011)

It’s time to say goodbye Indonesia. Heute reisen wir zurück nach Deutschland. Von Jakarta geht es über Singapur zurück nach München.

An dieser Stelle möchte ich einfach aus meinem Reisetagebuch zitieren: „So wie ich mit gemischten Gefühlen nach Borneo gereist bin, so reise ich ebenso mit gemischten Gefühlen ab. Wir haben einzigartige Erfahrungen sammeln und interessante Mosaiksteine dieser Welt kennen lernen dürfen, aber auch viel Leid und Zerstörung gesehen, für die letztlich auch wir Europäer direkt oder indirekt verantwortlich sind. Ein intakter Regenwald übt eine derartige Faszination aus, dass man kaum umhinkommen mag, sich in Deutschland für dessen Rettung zu engagieren.“

Ein banger Blick in die Zukunft (Tag 12, 07.07.2011)

Reisebericht des Monats Pünktlich kommen wir in München an. Das war es. Eine großartige Reise ist vorbei, die Erinnerungen werden bleiben. Vielleicht werden es bald nicht mehr als Erinnerungen sein. Erinnerungen an Regionen, Ökosysteme, Wälder, Pflanzen und Tiere, die es in ein paar Jahren nicht mehr oder zumindest nur noch in deutlich veränderter Weise geben wird. Wir durften einzigartige Momente erleben. Wir wurden mit den gewaltigen Zerstörungen konfrontiert, die nur eine einzige, aber umso dominantere Art – nämlich wir (Homo sapiens) – bewirkt. Aktuell geht die Zerstörung weiter und das immer schneller. Pro Sekunde wird eine Fläche weltweit abgeholzt, die der von etwa 70 Fußballfeldern entspricht. Pro Stunde sind das 4200 Fußballfelder! Das Abholzen der grünen Lunge des einzigen Planeten, auf dem im gesamten Universum Leben nachgewiesen ist, wird nicht nur das Weltklima beeinflussen. Die meisten tropischen Arten sind endemisch. Das heißt, diese Arten kommen nur in kleinen Arealen vor. Mal mögen diese Areale eine Insel umfassen, mal nur ein Gebirgsmassiv, mal nur ein Tal oder manchmal auch nur wenige Hektar. Sobald das Areal zerstört wird, ist die dort vorkommende endemische Art für immer verloren. Ausgestorben. Niemand kann abschätzen, wie viele Arten bereits ausgestorben sind.

Es wäre nicht nur jammerschade, sondern eine Tragödie, falls dieses wunderbare Erbe der Evolution für immer und unwiederbringlich verloren ginge.

Über Ihr Feedback würde ich mich freuen. Hier finden Sie mein Gästebuch.